Entwicklung von Ausbaukonzepten für Streckenzüge

Die aktuellen Anforderungen der Plan- und Genehmigungsverfahren für Vorhaben im Bundesfernstraßennetz erfordern in zunehmendem Maße einen Abgleich der Vorgaben aus dem Bedarfsplan für Bundesfernstraßen mit großräumigeren Anforderungen, die sich aus netzkonzeptionellen, raumordnerischen oder wirtschaftlichen Aspekten ergeben. Als maßgebliches Planungsinstrument und als Grundlage für Abstimmungen mit der Straßenbauverwaltung des Bundes gewinnen Ausbaukonzepte für Streckenzüge mit integrierter Projektprognose eine zunehmende Bedeutung. Auch in gerichtlichen Überprüfungen oder bei Prüfungen durch den Bundesrechnungshof stellen diese Konzepte oftmals die belastbare Entscheidungsgrundlage dar.

Der bedarfs- und zielnetzgerechte Ausbau des Bundesfernstraßennetzes umfasst neben der Beseitigung von Defiziten (z.B. Leistungsfähigkeit oder Erreichbarkeit) auch die Anpassung des Straßennetzes an das aktualisierte Richtlinienwerk.

Im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 erfolgt die komplexe Untersuchung der bedarfsplanrelevanten Neubauvorhaben sowie der kapazitätserhöhenden Ausbauvorhaben. Über den Bedarfsplan für Bundesfernstraßen (BPL) 2016 erfolgt die gesetzliche Feststellung des Bedarfs.

Nach Beschluss des BLP 2016 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) ein Zielnetzprognose erstellt, die einen Rahmen für die zu erwartenden Verkehrsbelastungen im Netz der Bundesfernstraßen beschreibt und eine Zuordnung der Bundesfernstraßen zu den Verbindungsfunktionsstufen 0 und 1 im Zielnetz verbindlich einführt. Aus den Verbindungsfunktionsstufen leiten sich die Ausbaustandards sowie die nach dem Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen nachzuweisenden Reisegeschwindigkeiten eines Streckenzuges ab.

Der ggf. parallel zu planende Ausbau von freien Strecken zwischen den Projekten des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen erfolgt zumeist als nicht bedarfsplanrelevante Ausbaumaßnahme. Bild 1 zeigt den Sachstand der Ausbauplanung beispielhaft für den Streckenzug der B 96 zwischen der A 10 in Brandenburg und der A 20 in Mecklenburg-Vorpommern.

Zusätzlich bestehen ggf. weitere raumordnerische Erfordernisse zur Anpassung der Netzkonzepte. Diese können beispielsweise in einer defizitären Erreichbarkeit von Oberzentren (OZ) aus den ländlichen Räumen bestehen (Erreichbarkeit größer 60 Minuten, vgl. Bild 2).

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Grundlagen der durchzuführenden Plan- und Genehmigungsverfahren zur Umsetzung der Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen zumeist umfänglich aktualisiert und überprüft werden müssen:

  1. Die Projektdefinitionen der Maßnahmen des Bedarfsplanes entsprechen oft nicht dem Projektzuschnitt in späteren Phasen der Plan- und Genehmigungsverfahren:
    • keine Berücksichtigung der Gesamtplanungen des Netzabschnittes
    • Beginn und Ende des bedarfsplanrelevanten Projektes an Ausschleifungen aus dem Bestand mit notwendiger Anordnung eines Knotens
    • ggf. keine Berücksichtigung kreuzender Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen.
  2. Für eine sachgerechte Ermittlung der verkehrlichen und verkehrswirtschaftlichen Wirkungen von Maßnahmen des BPL 2016 sind die Bewertungsprognose des BVWP und die Zielnetzprognose oftmals ungeeignet. Im Zuge von Projektprognosen für Streckenzüge ergeben sich aus der Überlagerung aller maßgeblichen Planungsrandbedingungen deutlich veränderte (oftmals wesentlich höhere) Wirkungen. Dies kann ggf. die Anpassung der Projektdefinitionen gegenüber den Vorgaben des BPL 2016 erfordern. Weitere Gründe für abweichende verkehrliche Wirkungen können sich ergeben:
    • Gegenüber dem BVWP haben sich aus vielfältigen Gründen mit den periodisch fortgeschriebenen Vorausberechnungen oft die maßgeblichen Strukturdatengerüste (Einwohner/Beschäftigte) deutlich verändert.
    • Gegenüber dem Instrumentarium der Bedarfsplanung des Bundes kann in Projektprognosen die Verkehrsdatenbasis unter Einbeziehung von Erhebungen der Länder, Kreise und Kommunen deutlich erweitert und aktualisiert werden.
    • In Projektprognosen können regionale Besonderheiten und singuläre Verkehrserzeuger durch gezielte Abfragen belastbarer abgebildet werden.
    • Mit der notwendigen Differenzierung des Instrumentariums, beispielsweise durch kleinräumigere Verkehrszellen, der Übernahme untergeordneter Netzelemente oder der Aktualisierung der angeordneten Verkehrsorganisation sowie der Berücksichtigung einer abzustimmenden städtebaulich sinnvollen Entwicklung der Verkehrsräume können Projektprognosen die Wechselwirkung zwischen dem Binnenverkehr von Orten und der Führung des Quell- und Zielverkehrs belastbarer abbilden.
  3. Die sachgerechte Erstellung von Projektprognosen und die darauf aufbauenden Ermittlungen von Konflikten/Abwägungen einschließlich der sachgerechten Ermittlung der Klima- und Umweltwirkung sowie Wirtschaftlichkeitsnachweise werden in zunehmendem Maße bei gerichtlichen Überprüfungen und durch Rechnungshöfe hinterfragt.

Gemäß Einführungserlass der Richtlinien für die Anlage von Landstraßen sollen netzkonzeptionelle Betrachtungen und Dimensionierungen jeweils für den gesamten betroffenen Streckenzug möglichst frühzeitig durchgeführt und in den Planungsprozess integriert werden. Im Rahmen der Erarbeitung von Streckenzugkonzepten können dabei Varianten differierender Ausbaustandards entwickelt und hinsichtlich ihrer verkehrlichen und wirtschaftlichen Wirkungen vergleichend bewertet werden (vgl. Bild 3).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gewählten Ausbaustandards oft die Prognosebelastungen und verkehrlichen Wirkungen beeinflussen, die wiederum zur iterativen Anpassung der Standards führen können. Im Gegensatz zum generalisierten Ansatz von Mindestparametern entsprechend der maßgebenden Entwurfsklassen kann durch die iterative Optimierung der Streckenzugkonzepte bei wirtschaftlichem Ausbau ein Maximum an verkehrlicher Wirkung generiert werden. Dabei werden unter Berücksichtigung der maßgebenden Konflikte (z.B. Umwelt / Baugrund) insbesondere die Lage und Anzahl der Knotenpunkte sowie Lage und Länge der Überholfahrstreifen in Abstimmung mit Anlagen- und Umweltplanern für den jeweiligen Streckenzug optimiert.

Für die erstellten Streckenzugkonzepte kann anschließend eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgeführt werden, wobei neben den bedarfsplanrelevanten Neubauvorhaben auch alle Ausbauvorhaben der freien Strecken berücksichtigt werden. Diese stellen zumeist eine wichtige Grundlage dar, beispielsweise für die notwendigen Projektabstimmungen mit dem BMDV.

Mit Streckenzugkonzepten kann eine belastbare Planungsgrundlage für einen Straßenzug entwickelt werden, die auch im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ein Optimum darstellt. Beispiele für durchgeführte Streckenzugkonzepte durch IVV sind:

  • B96 zwischen A10 (Berliner Ring) und A20 (Neubrandenburg)
  • B19 zwischen B62 (Bad Salzungen) und A71 (Meiningen-Nord)
  • B190n zwischen A39 (Bad Bodenteich) und A14 (Seehausen)
  • B189 zwischen A14 (Wittenberge) und A24 (Pritzwalk)

24. Mai 2022

 

Ansprechpartner bei IVV

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Bild 1: Sachstand der Ausbauplanung für den Streckenzug der B 96 zwischen der A 10 und der A 20 in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern

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Bild 2: Erreichbarkeitsdefizite von Oberzentren (OZ) im Planungsraum der B96 (Quelle BBSR)

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Bild 3: Auszug aus dem Streckenzugkonzept der B19 zwischen B62 und A71 (Thüringen)